In einem Nachwort heißt es über Alexander Trocchis Roman, der in Deutschland unter dem Titel "Wasserläufe" veröffentlicht wurde, er sei "ein Film, der nur darauf wartet, gedreht zu werden". Es hat lange gedauert, bis sich ein Filmemacher an Trocchis unterkühltes, deftiges und dramaturgisch raffiniertes Selbstbildnis eines Entwurzelten und Entfremdeten wagte, der nur in der Geilheit ein Verhältnis zur Welt entwickelt.
Zwischen dem verkrachten Literaten Joe und dem tristen Schottland der fünfziger Jahre liegt immer mindestens eine Zigarettenlänge. Er fällt nicht auf, weil er wie die anderen nach Schweiß riecht und Dreck unter den Nägeln hat. Aber er bleibt unbeteiligt. Gemeinsam mit dem poltrigen Les und dessen herber Ehefrau Ella fährt Joe auf einem Kohlenfrachter die Clyde auf und ab, vorbei an den Industrielandschaften zwischen Glasgow und Edinburgh. Er wird Ella heimlich im Gebüsch am Ufer lieben und die Affäre schließlich träge zugeben. Als Ella beginnt, von Zukunft zu reden, ist Joe längst gelangweilt. Ihre schlampige Schwester nimmt er im Vorübergehen, auf eine Zigarette im Stehen.
Diese schäbige, beklemmende Welt wird hier in einer überaus eleganten visuellen Sprache verdichtet. Selbst in den engen Innenräumen bleibt eine emotionale Distanz spürbar, die auch Sex nicht überwinden kann. Die klamme Feuchtigkeit der Kanäle findet ihre Entsprechung in Farbnuancen zwischen Grün, Grau und Blau, die auch im Licht einer Petroleum-Lampe keinen Grad wärmer werden. Die ganze Zärtlichkeit der Kamera gilt jedoch der Toten mit dem schwebenden Haar, die zu Beginn des Films im Wasser treibt. Einen Moment zu lang zögert Joe, bis er Les hilft, den aufgedunsenen Körper endlich an Deck zu fischen. Die Schamhaftigkeit, mit der er ihren Unterrock zurechtzupft, hat er ihr früher nicht entgegengebracht.
Die halbnackte Frauenleiche ist das erste Stück eines elegischen Thriller-Puzzles, dessen Reiz darin besteht, daß es sogar vollständig gelöst kein klares Bild ergibt. Wie der Roman-Autor überläßt auch der Filmregisseur die Aufklärung dem, der unter Verdacht steht. Für Joes Flashbacks in die Zeit mit Cathy gibt es keinen objektiven Zeugen. Nicht für den Liebes-Akt mit Pudding und Schlägen, und schon gar nicht für die verhängnisvolle letzte Nacht. Dieser Erzählinstanz darf und muß man mißtrauen - auch wenn Joe dreinblickt, als könne er kein Wasser trüben.
Den Verlust eines Alles- und Alles-Besser-Wissers trägt Regisseur Mackenzie mit Stil, Würde und Selbstvertrauen. Vor der erotischen Deutlichkeit zeigt er so wenig Angst, wie er die moralische Undeutlichkeit seines zutiefst pessimistischen Soziogramms fürchtet. Und sämtliche Schauspieler verzichten virtuos darauf, ihre brüchigen Figuren zu kitten und an die grenzenlose Sympathie zu verraten.
Originaltitel: YOUNG ADAM
GB 2003, 93 min
Verleih: Alamode
Genre: Thriller, Erotik, Literaturverfilmung
Darsteller: Ewan McGregor, Tilda Swinton, Peter Mullan, Emily Mortimer
Stab:
Regie: David Mackenzie
Drehbuch: David Mackenzie
Musik: David Byrne
Kinostart: 09.12.04
[ Sylvia Görke ]