Die Swalka ist eine der größten Müllhalden Europas. Gelegen vor den Toren Moskaus, von wo die Lichter der Stadt wie in einer Mischung aus Hohn und Verheißung herüberleuchten. Unerreichbar weit weg von diesem Gebirge aus Dreck und Schlamm, das tagtäglich weiterwächst, und über dem wie ein apokalyptisches Menetekel die Krähen- und Möwenschwärme kreisen. Eine Landschaft aus Zivilisationsmüll und darin auch ein Symbol unserer Zivilisation. Daß hier Menschen leben (oder besser: sich an etwas wie Leben versuchen), ist dabei leider nicht so überraschend, wie es vielleicht sein sollte.
Yula ist einer dieser Menschen. Im Jahr 2000 begann die Dokumentarfilmerin Hanna Polak, das damals 10jährige Mädchen zu porträtieren. Und das heißt auch, ein Sozialgefüge am absoluten gesellschaftlichen Rand, am existenziellen Nullpunkt zu dokumentieren. Mit ihrer Mutter lebt Yula in der eigentlich verbotenen Swalka-Zone. Lebt wie alle, die hier gestrandet sind, im und vom Müll. An einem Ort, der vom Rest der Welt durch Mauern abgeriegelt ist. In dem die Mafia das Sagen hat, und man allenthalben im exzessiven Wodka-Konsum der Trostlosigkeit dieses Daseins zu entfliehen sucht: „Komm, film’ mich mal beim Trinken“ ist der programmatische Satz, den Yula einmal in Polaks Kamera spricht, bevor sie in großen Schlucken den Wodka aus der Tasse leert.
13 ist Yula da inzwischen. Und man sieht, Minute für Minute, die der Film verstreicht, den Verfall dieses Mädchens. Weit über zehn Jahre lang kehrte Polak immer wieder auf die Swalka und zu Yula zurück. Zu Beginn beharrt die, bildhübsch und trotzig, auf die Normalität ihres Lebens, auf eine Zukunft mithin. Eine Hoffnung, die keiner der Älteren hier teilt. Wissend, warum. Mit 16 wird Yula schwanger sein, der Versuch, beim alkoholkranken und lieblosen Großvater in einem Dorf unterzukommen, scheitert. Mit 18 gehört sie wieder zur Swalka-Gemeinschaft: „Verdammt zum Leben auf der Müllkippe. Für immer. So sieht’s aus.“, sagt sie.
Doch ist das nicht der letzte Satz, der in diesem Film fällt. Der auch einer ist über den Selbstbehauptungswillen des Menschen. Und wie Yula eben nicht in der Selbstaufgabe versinkt, wie sie, allen Widrigkeiten zum Trotz, auf ein Leben beharrt, das den Namen verdient, ist von einer inneren Stärke, die imponierend und berührend ist.
Originaltitel: SOMETHING BETTER TO COME
Polen/DK 2014, 80 min
FSK 12
Verleih: Eksystent
Genre: Dokumentation, Schicksal
Regie: Hanna Polak
Kinostart: 09.03.17
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.