Originaltitel: IL A DÉJÀ TES YEUX

F 2016, 95 min
FSK 0
Verleih: Neue Visionen

Genre: Komödie

Darsteller: Lucien Jean-Baptiste, Aissa Maiga, Zabou Breitman, Vincent Elbaz

Regie: Lucien Jean-Baptiste

Kinostart: 13.07.17

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Gegen Schranken im Kopf und Sperren im Herzen

Auch wenn man mal wieder mit dem Glöckchen der Selbstkasteiung bimmelt: Die Franzosen können das einfach, was uns selten bis nie gelingt. Unsere Kinonachbarn kriegen es nämlich hin, komisch, anrührend, sympathisch und zugleich mit Biß vom Leben zu erzählen, einem Leben, das sich in aller Verrücktheit manchmal so wie eben jetzt bei Paul und Sali gebärdet: voller Glück und Selbstzweifel, in familiärem Argwohn und heimgesucht von behördlicher Boshaftigkeit.

Dabei ging es ganz gut los, als das Telefon klingelte, die Adoptionsstelle war dran, wenige Momente später triumphiert die Betreuerin: „Je vous presente – Benjamin!“ Lange Gesichter, offene Münder, und dann kullern sie doch, die Freudentränen. Tränen gibt es auch bei Salis Familie, doch kaum in emotionaler Überrumpelung, eher aus unverhüllter Ablehnung. Man wolle diesen Benjamin nicht, ein Statthalter namens Ousmane oder Lamine wäre der Tradition entsprechend, und doch ist es nicht der Name, an dem sich der Clan stört und umgehend die Rückgabe einfordert, weil man ohnehin und sofort von Bekannten ein süßes Baby aus dem Kongo haben könnte: Der so verhalten begrüßte Nachwuchs ist weiß! Als wäre das nicht genug, müssen sich die frischgebackenen Eltern auch noch der unwürdigen Beschattung durch die Behörden und eines Rassismus’ erwehren, der sich scheinbar harmlos in den Alltag geschlichen hat: Die Ärztin fragt Sali nach der Mutter des Kindes, mehr als die Nanny zu sein, traut man einer schwarzen Frau bei einem weißen Kind kaum zu ...

Und schon daher: Man hätte flott ins Döschen der Betroffenheit langen können, man hätte zum x-ten Mal das Lied von David gegen Goliath im Kampf gegen die Amtsmühlen anstimmen oder gleich ganz vom Auseinanderbrechen einer Familie fabulieren können. Aber Lucien Jean-Baptiste, der nicht nur Regie und Buch verantwortete, sondern den Paul gleich selber spielt, überzeugend wohlgemerkt, pfeift auf zu Erwartendes, ihm gelang in aller Entspanntheit ein schwer sympathisches Lachstück mit Reflexionspotential, einer Komik jenseits allen Klamauks und – um im Bild zu bleiben – aller Schwarzweißmalerei, er setzt die inhaltliche Prämisse als eine selbstverständliche und fordert den Zuschauer schon damit heraus: „Mach’ was draus, komm’ klar damit!“ Eine Haltung, die Empathie oder mindestens Anstand einfordert, sich des modernen Habitus’ erwehrt, nach dem man sich immerzu nach anderen richten, viel zu häufig bei Zweiflern und Nörglern rechtfertigen und das eigene Glück immerzu verteidigen muß.

Das Mittel Baptistes ist ein erprobtes: Humor. Herrlich komisch ist, wenn Paul vor seinen konsternierten Schwiegereltern staubtrocken feststellt: „Wenn nicht bald einer einen Witz reißt, wird es eng ...“ Jean-Baptiste erzählt deutlich, aber nicht verbissen, von bis an die Grenze zur Boshaftigkeit agierenden Beamten (Betreuerin Madame Mallet wird wunderbar ambivalent von Zabou Breitman gegeben), die außerhalb des Kinos doch zu häufig in rätselhafter Willkür ins schwer erkämpfte Glück pfuschen, er greift mit Witz und Verve Schranken im Kopf und Sperren im Herzen an, klopft außerdem einem antiquierten Machismo auf den Busch und hat keine Scheu, kurz vor Schluß in einer herrlich turbulenten Krankenhausszene alle Kinds- und Sturköpfe so richtig am Rad drehen zu lassen.

Und natürlich muß man kein Einserschüler sein, um zu erraten, daß es gottlob nicht ewig dauert, bis schwarze großmütterliche Hände dann doch dem weißen Po aus der verkackten Windel helfen ...

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.