Ganz ehrlich: der Titel der deutschen Ausgabe des Erfolgsbuches von Anna Gavalda schnupperte so ein wenig nach plüschig-geladener Pilcher-Atmosphäre. Wer sich davon nicht beirren ließ, bekam einen dicht und feinfühlig geschriebenen Roman zu lesen, und wer sich auch fortan vom schnöden Wort nicht in die Irre führen läßt, wird in diesem Sommer ein zauberhaftes, anrührendes und von einem superben Ensemble getragenes Werk in sein Herzensreich der guten Filme schließen dürfen. Denn genau dahin gehört diese neuerliche Regiearbeit Claude Berris, dessen letzte Filme trotz wohlwollender Aufnahme in der Heimat dem deutschen Publikum vorenthalten blieben. Dafür verspricht diese in Nuancen auch verrückte Tragikomödie mehr als Wiedergutmachung.
Die Geschichte allein ist dabei recht simpel: die malbegabte Camille kommt als Putze über die Runden, sie selbst beschreibt ihre Arbeit als die einer Fachfrau für Oberflächen, sie haßt jegliche Miethausanonymität und trifft eines Tages auf den arg schüchternen und altmodisch situierten Philibert. Auch der stellt sein Licht unter den Scheffel, verdingt sich als Postkartenverkäufer in einem Museum und wird durch sein Stottern schnell als Trottel vom Dienst abgestellt. Manchmal auch von Franck, mit dem er eine herrschaftliche Wohnung teilt. Franck, ein wahrlich gutaussehender, viriler Draufgänger, ist somit das Gegenteil der beiden. Einer der schnell Motorrad fährt, heiße Bräute aufreißt, und dessen warmer Fleck im Herzen sich erst im Umgang mit seiner hilfsbedürftigen Oma zeigt.
Während Camille den ersten Schritt einer Annäherung ans richtige Leben wagt, in Form einer Einladung Philiberts in ihr kleines Dachgeschoß, wird es Francks Oma Paulette sein, die den Kreis schließen läßt und - fast beiläufig - eine tour d’emotion los tritt, an deren Ende Philibert kaum mehr stottern wird, sich gar die Liebe zeigt ...
Daß die Drei ab und an im Restaurant "La Coupole" speisen, ist nur einer der dezenten Verweise auf die Schutzbedürftigkeit unserer Helden. Berri vermag es Film über, einen derart komplexen Themenkatalog aus Einsamkeit, Selbstzweifel und Nächstenliebe subtil, effizient, kitschfrei und ohne die Attitüde eines Sozialpädagogen aufzublättern. Seine Fabel vom Zusammenhalt ist zu Herzen gehendes Kino, es zelebriert eine selbstgeschaffene Kampfzone als Biotop des Miteinanders, quasi als pures Antidot zur frostig-modernen Singularitätsgesellschaft.
Berri trägt seinen Figuren neben aller Schrulligkeit und bisweilen Grobheit unheimlich viel Liebe an, läßt sie in den richtigen Momenten erröten, explodieren, heimlich weinen. Er formiert ganz Alltägliches, geprägt von Hoffnung, Enttäuschung und derber Zerrissenheit, in ein mitunter auch komisches Mosaik des Lebens, das ohne sentimentale Überhöhung genau dort trifft, wo es treffen soll. Ohne daß Geigen aufspielen, ohne daß Nüstern der Empörung beben müssen, ohne im Akkord krachende Türen, einfach aus der Tiefe seiner Figuren, aus Gesten und Blicken heraus.
Und Berri hält - trotz trauriger Ereignisse kurz vor Schluß - im Finale eine derart berauschende Dosis puren Glücks parat, daß man sie einfachen zulassen muß: die Tränen.
Originaltitel: ENSEMBLE C’EST TOUT
F 2007, 97 min
Verleih: Prokino
Genre: Tragikomödie, Liebe
Darsteller: Audrey Tautou, Guillaume Canet, Laurent Stocker, Françoise Bertin
Regie: Claude Berri
Kinostart: 16.08.07
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.