D 2017, 139 min
FSK 12
Verleih: X Verleih
Genre: Drama, Literaturverfilmung
Darsteller: Josef Bierbichler, Martina Gedeck, Simon Donatz, Irm Hermann, Sarah Camp
Regie: Josef Bierbichler
Kinostart: 22.03.18
Wo der Bierbichler Sepp auftaucht, sind die Wuchtworte nicht weit. Eine Naturgewalt nennt man ihn, im Explodieren wie im Resignieren, einen Überwältiger mit bühnen- und filmraumgreifender Physis. Seit seinem Romandebüt „Mittelreich“ (2011) gilt der Schauspieler auch als „saftiger“ Schriftsteller. ZWEI HERREN IM ANZUG ist nun der Bändigungsversuch des in autobiographische, national- und mentalitätshistorische Dimensionen ausgreifenden Stoffes – eine Motivauswahl, die das Epos auf Kinomaß bringt, ohne ihm die Kehle zuzudrücken. Sollte überhaupt jemand zudrücken und anpacken dürfen, dann ist das Bierbichler höchstpersönlich. „Wenn ich schon den Roman einigermaßen hingekriegt habe, werde ich daraus doch wohl auch ein Drehbuch machen können“, sagt er. Hinzugefügt werden muß, daß er gleich auch die Regie sowie eine Haupt- und eine Nebenrolle schultert – mehr Bierbichler geht wirklich nicht.
Schauplatz und geistiges Zuhause der fast ein Jahrhundert umklammernden Geschichte einer Gastronomen-Dynastie ist die Gegend am Starnberger See. Ausgemalt mit der Sommersonne der Provinz oder bei „reinstem Wagner-Wetter.“ 1984 wird hier der Tod von Theres betrauert. Zurück bleiben Witwer Pankraz, sein wütender erwachsener Sohn Semi und ein Scheißhaufen aus unbewältigten Erinnerungen. In Rückblenden, szenischen Schlaglichtern und delirierenden Trugbildern arbeitet sich der Film bis zum übelriechenden Grund hinab: zwei Weltkriege, ein Hitler, versaute Kindheiten und verhinderte Sängerkarrieren, fremde Besatzer und noch fremdere Flüchtlinge, Nachkriegswohlstand und sparsame moralische Ausstattung. Und immer wieder jene sorgfältig gekleideten Herren, zwei Quälgeister mit Hut, die den Erinnerungsstrudel am Laufen halten.
Trotz Lederhosen und Blümchenkleidern, trotz Blasmusik (von Kofelgschroa) und bayerischer Mundart – diese Heimaterkundung kennt keine Tümelei. Wohl aber die Irritationstechniken des Neuen Deutschen Films, des Ekstatikers Werner Herzog, des Anarchisten Herbert Achternbusch oder des verführerischen Abgrundschauflers Michael Haneke. Kein Wunder, gehört Bierbichler doch zu deren prägnantesten Leinwandgesichtern. So meint man, neben den Mitgliedern der Seewirtsfamilie, hinter messerscharfem Schwarzweiß, deklamatorischem Duktus und manch grell übersteuerter Ungezogenheit auch eine filmkünstlerische Ahnentafel auszumachen.
[ Sylvia Görke ]