Originaltitel: DOUBLES VIES

F 2019, 107 min
FSK 6
Verleih: Alamode

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Guillaume Canet, Juliette Binoche, Vincent Macaigne, Nora Hamzawi, Christa Théret

Regie: Olivier Assayas

Kinostart: 06.06.19

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Zwischen den Zeilen

Der Algorithmus des Fremdgehens

Was glauben Sie? Werden die selbstverliebten Literaturkritiker (und selbstredend Filmkritiker) bald von Algorithmen ersetzt? Und wäre das dann gut oder schlecht? Und daß immer mehr Menschen Bücher auf dem Smartphone lesen? Oder daß ein bekannter Schriftsteller deutlich mehr Follower auf seinem Blog hat als Leser seiner Bücher? Über solche Fragen und Untergangsszenarien diskutiert die etablierte Pariser Bohème lustvoll, in großzügigen Wohnzimmern und hellen Verlagsbüros, vor allem aber in plüschigen Bistros. Die einen gehören noch zum analogen Zeitalter, die anderen stehen zumindest schon mit einem Bein in der digitalen Welt. Eins teilen sie aber: heimliche Affären untereinander, die auch schon wieder nach Algorithmen aussehen.

Der Originaltitel DOUBLES VIES paßt insofern besser. Auch wenn ein Buch der rote Faden durch die Handlung ist. Geschrieben hat es Léonard, ein Woody-Allen-Typ, der darin wie üblich seine privaten Liebesgeschichten preisgibt, wofür er von der inzwischen politisch korrekten Öffentlichkeit immer öfter zur Rede gestellt wird. Bisher hat ihn der Verleger Alain trotzdem treu untergebracht. Doch jetzt will er nicht mehr. Alains Frau Selena, die ihrer TV-Rolle als Polizistin überdrüssig ist, sieht das anders. Vielleicht, weil sie zwischen den Zeilen im Buch auftaucht? Egal, denn Alain tröstet sich sowieso mit Valérie, obwohl die seinen Verlag eigentlich von Grund auf verändern soll. Alle haben hier natürlich ihre persönliche Krise.

Olivier Assayas, der mit PERSONAL SHOPPER den ersten Smartphone-getriebenen Gespensterfilm gedreht hat, bleibt dran an der Frage: Welche Welt bringt uns die Digitalisierung? Diesmal am Beispiel der Verlagswelt und einer Pariser Bourgeoisie, die sich allerdings vor den Gelbwesten vermutlich mehr als vor der Digitalisierung fürchten muß. Und so bleiben denn alle auch ganz tiefenentspannt. Das Thema bildet mehr den Anlaß für einen intelligenten und sehr französischen Konversationsfilm, in dem es tolle Schauspieler und bissige Pointen gibt.

Und die Moral? Hätte Claude Chabrol aus den heimlichen Affären die Verlogenheit der Bourgeoisie herausgefiltert, darf Juliette Binoche jetzt mit einem hingeworfenen „In einer Beziehung ist Lust doch nicht das A und O“ die Lage entschärfen. Die Zeiten ändern sich. Und doch bleibt alles beim alten. Gut oder schlecht? Auf jeden Fall eine unterhaltsame Vorlage zum Weiterdiskutieren.

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...