Das Gesicht von Sophia Loren in Nahaufnahme, welkend und in Falten liegend, unter einer aschgrauen Staubschicht. Schönheit des Alters, sagt das Bild. Last des Daseins, sagt ihr schwerer Atem. Meine Mutter, sagt Regisseur Edoardo Ponti. Olivia träumt. Von Figuren, die aus einem Steinblock herausragen, darum kämpfen, frei zu sein. Heimlich zeichnet sie die Figuren mit Kohle auf Papier. Ihr Mann, ein alter Griesgram, der sich im Rollstuhl wortlos bedienen läßt, soll es nicht wissen. Daß sie Schuldgefühle quälen, weil sie ihre Tochter fort gab. Daß sie die verpasste Künstlerkarriere nachholen will.
Eine andere Frau: Catherine, Star-Cellistin. Sie irrt durch Toronto, um sich an ihrem Vater dafür zu rächen, daß er ihr Leben zerstörte, als er ihre Mutter zu Tode schlug. Sie paßt ihn am Gefängnistor ab und verfolgt ihn, mit einem Revolver in der Tasche. Sie hat ihre Familie seit Wochen nicht gesehen und verleugnet sich gegenüber der eigenen Tochter.
Natalia, eine junge Fotografin. Ihr einflußreicher Vater ist stolz auf sie und ihre erste Titelseite: das Bild eines Kindes aus Angola, das den Flammen ins Auge sieht. Der Karriere steht nichts mehr im Wege. Aber Natalia kommt nicht zur Ruhe. Sie kann sich nicht erinnern, in welcher Situation das Bild entstanden ist. Hätte sie das Kind vor dem Feuer retten können, anstatt es zu fotografieren?
Der Film entwirft drei Parallelhandlungen in Toronto. Drei Frauen auf der Suche nach sich selbst und ihrer wahren Bestimmung. Sie tragen hart an dieser Suche. Zu verbissen, als daß der jeweilige Konflikt sich dem Zuschauer vermittelte. Allein das Thema Fotojournalismus ist stark genug, mit einer ethischen Fragestellung zu interessieren. Da hilft weder die Starbesetzung noch die rührselige Musik von Zbigniew Preisner. Im Gegenteil: die Melodramatik lenkt entschieden ab. Die Charaktere wirken wie hingestellt, die Leidensblicke der Frauen wie eingemeißelt.
Ponti sucht den Augenblick der Wahrheit in ihrem Leben, den Blick hinter die Oberfläche. Aber er rührt nur selten an ihre Seele und hält notdürftig die Balance zwischen den Erzählsträngen. Ein singendes Mädchen, das engelsgleich in der Stadt unterwegs ist, muß als bedeutungsvolle Klammer herhalten. Zwischen Fremden. Ein Film über das Leben, echtes Gefühlskino will ich sein, sagt der Film.
Originaltitel: Between Strangers
Kanada/I 2002, 95 min
Verleih: Solo Film
Genre: Drama
Darsteller: Sophia Loren, Mira Sorvino, Deborah Unger, Pete Postlethwaite, Gérard Depardieu, Klaus Maria Brandauer
Regie: Edoardo Ponti
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...