Stille kann so verschieden sein. Das Innehalten, das Krafttanken, dieses In-die-Weite-Schauen am Strand vor den Kreidefelsen Rügens hat nichts gemein mit dem Schweigen, der geräuschlosen Furcht, als der Soldat Jesper im Militärflugzeug wie in einer Legebatterie neben seiner Truppe sitzt – wortlos, ungewiß, ganz sicher unsicher. Warum er sich wieder zum Einsatz in Afghanistan gemeldet habe, fragt ihn ein schmallippiger Oberst kurz nach Landung in Kunduz: „Ich wurde angefordert!“ Jesper stellt sein Pflichtbewußtsein über die Trauer um den gefallenen Bruder, sein Vorgesetzter weiß sicher nicht einmal um den Zynismus seiner Worte: „Ein guter Mann. Wir brauchten mehr von denen ...“
Eine Introduktion, die kaum trefflicher den Wahnsinn Krieg skizzieren kann, diese kranke Tollerei um Gerechtigkeit, oder was man eben dafür hält, Kanonenfutter inklusive. Doch Feo Aladag geht es um mehr, sie neigt nicht zum eindimensionalen Anklagen, sie wertet subtiler, beleuchtet keinesfalls einseitig. Deswegen führt sie die Figur Tariks ein, der sich als Übersetzer für Jespers Kommando verdingt. Die Schwester fragt den jungen Afghanen die Deutschvokabeln ab, wie ein Popstar rast Tarik auf dem Motorrad mit der Ray-Ban auf der Nase durch die Straßen, er muß tricksen, um an den Übersetzerjob zu kommen. Als er Jespers Englisch um eine kleine, feine Nuance korrigiert, ist zum einen das Eis zwischen beiden gebrochen, zum anderen ist man froh über diesen Schmunzler, da man schon ahnt, daß es sonst nichts zu lachen geben wird in dieser Geschichte über einen uferlosen Einsatz. Mit Tariks Hilfe versucht Jesper, das Vertrauen einer Dorfgemeinschaft und der Milizen zu gewinnen, ein Unterfangen, das nicht an den durch Tariks mediatorisch geglätteten Übersetzungen scheitert: Es sind kulturelle, religiöse und ideologische Welten, die bezahlte deutsche Soldaten von den bewaffneten Zivilisten trennen.
Ronald Zehrfeld als Jesper ist die Idealbesetzung, diese Zerrissenheit – die Mission einerseits, das Bauchgefühl und der Blick in die Augen der Dorfbewohner andererseits – spielt er brillant. Die Ohnmacht, einem Land zu helfen, das sich kaum helfen lassen will, die Wut, Angst und Hilflosigkeit, die zwischen menschlicher Räson und militärischem Gehorsam entsteht – all das spiegelt sich in Zehrfelds hart-weichem Gesicht wieder. Jede Entscheidung kann nur die falsche sein, und auch Tarik steht unter doppeltem Beschuß. Da er für die Gegenseite arbeitet, werden er und seine Schwester, die Brückenbau studiert, von den Taliban bedroht.
Aladags Film hat durchaus wohldosierte Szenen vom Kriegseinsatz, doch das Monströse, das Furchteinflößende des Krieges kriegt dann ein Gesicht, wenn komplette Ruhe herrscht. Es gibt diese Szene, in der Jespers Soldaten in einer Bar tanzen, feiern, singen und saufen. Sie ziehen sich Reizwäsche an, tragen Bin-Laden-Masken. Was den Hunger auf Ausgelassenheit illustrieren soll, hat den Geschmack eines Totentanzes. Im Krieg gibt es keinen Spaß. Eine gute, eine ehrliche Aussage von Aladags Geschichte, der nicht weniger gelingt, als dem weit entfernten „Krisenherd“, der aus den Nachrichten durch unsere Ohren blubbert, ein Gesicht zu geben. Tariks abenteuerliche Aktionen, um seiner Schwester beizustehen, dieser Blick aus endlos traurigen Augen – all dies kundet von einer düsteren Zukunft.
Und auch Jesper wird in jeder Hinsicht Opfer werden: Seine Menschlichkeit, die er sich bewahrt, wird sich spätestens dann an der Bürokratie abreiben, als er sich für die Rettung eines einzelnen Menschen rechtfertigen muß. Krieg kennt eben doch keine Logik.
D 2013, 98 min
FSK 12
Verleih: Majestic
Genre: Drama, Kriegsfilm
Darsteller: Ronald Zehrfeld, Moshin Ahmady, Burghart Klausner
Regie: Feo Aladag
Kinostart: 27.03.14
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.