Bild: MADAME EMPFIEHLT SICH

19. Französische Filmtage

20.11.–27.11.2013

Passage, Schaubühne Lindenfels

Diven, Schlammschlachten und Rückbesinnung

Ein Blick auf die 19. Französischen Filmtage

Wo die Wiege des Kinos stand, daran gibt es für den Leiter der Schaubühne Lindenfels René Reinhardt gar keinen Zweifel: in Frankreich natürlich. Mehr noch – er sieht das Kino gar als wahres Geschenk unserer Nachbarn. Grund genug, selbiges auch anno 2013 an das Publikum weiterzugeben, Vorhang auf für ein laut Petra Klemann, Geschäftsführerin der Passage Kinos, „üppiges Programm“ eines „guten Jahrgangs.“

Und tatsächlich bürgt schon die Eröffnung mit François Ozons JUNG & SCHÖN für Qualität, wie unsere Rezension im Heft zeigt. Ein Beginn, der sich fortsetzen wird: So legt die Passage ihren Fokus diesmal auf die Grandes Dames des französischen Films, allein die nochmals zu sehenden 8 FRAUEN vereinen eine stattliche Anzahl von ihnen. Weitere wohlklingende Namen aus anderen Vorführungen seien nur kurz aufgezählt: Brigitte Bardot, Sandrine Bonnaire, Isabelle Adjani, Marion Cottilard ...

Während nun Erinnerungen erwachen und Cineastenzungen schnalzen, wenden wir uns der Schaubühne zu. Dort widmet man sich der Historie, möchte Regisseure in ihrer Heimat verorten und eine Rückbesinnung auf die Geschichte stattfinden lassen – bewußt auf die Gefahr, dadurch etwas sperrig zu wirken. Zu diesem Zweck wurden extra Kopien aus aller Welt besorgt, neben einer Werkschau des kürzlich verstorbenen Künstlers Chris Marker gibt es unter anderem eine Premiere von DIE FÜNFTE JAHRESZEIT und eventuell die einzige Möglichkeit, jenen apokalyptischen Zukunftsblick überhaupt zu sehen, denn er hat bislang noch keinen deutschen Verleih gefunden. Weiterhin wird zum Beispiel an Jean Cocteau erinnert und das überaus entdeckenswerte Schaffen des bei uns fast unbekannten Georges Franju näher beleuchtet.

Erotisch wird es mit MES SÉANCES DE LUTTE von Jacques Doillon. Eine junge Frau kehrt in die Provinz zurück, ihr Vater, der sie nie beachtete, ist tot, sie trifft auf einen bärtigen, etwas älteren Mann. Erst umkreisen sie sich, schließlich gibt es erste Kampeleien, dann wird richtig gerungen – auf dem Boden, auf dem Küchentisch, im Schlamm. Ein Paar sucht die Liebe? Es bleibt erratisch, aber durch das Spiel und eben auch den vollen Körpereinsatz Sara Forestiers (mit Kopfschlagen gegen echte Türen und mit wahrhaften Blessuren ...) kann man sich dem Treiben, das immer so knapp verläuft, daß alles auch schiefgehen könnte, nicht entziehen.

Zurück zur Passage: Wie gewohnt lockt hier ein ansprechender Mix aus Premieren und Repertoire. Erstere sind stark aufgestellt – so mit dem Cannes-Gewinner BLAU IST EINE WARME FARBE oder Catherine Deneuves Flucht aus ihrem kurz vor der Pleite stehenden Restaurant in MADAME EMPFIEHLT SICH. Zweiteres bietet hingegen die Chance, Publikumserfolge erneut zu erleben, und zwar im Original, schließlich kann ja nur so die „Musik der Sprache“ adäquat transportiert werden. Man freue sich also auf die grantelnde PAULETTE oder DIE SCHÖNEN TAGE ohne ungeachtet aller Bemühungen immer etwas störende Synchronisation.

Gleiches gilt natürlich für Cinéfête, das Jugendfilmfestival, welches Schüler ab der 1. Klasse, Lehrer und jeden Interessierten einlädt, die französische Kultur zu entdecken, unterschiedliche Themen und Stimmungen aufzugreifen – Besuchertendenz steigend. In der aktuellen Ausgabe tummeln sich Isabelle Huppert oder Cécile de France als Darstellerinnen handverlesener Wiederaufführungen, darunter MEIN LIEBSTER ALPTRAUM und DER JUNGE MIT DEM FAHRRAD. Und wer noch Muße für Neues hat, den lädt die Schaubühne erstmalig zum Kammermusikkonzert inkl. Vorführung des Béart-Augenschmauses DIE SCHÖNE QUERULANTIN.

Die Weichen sind kompetent gestellt, und sie führen direkt zum Jubiläum nächstes Jahr. Wir blicken ihm gespannt und gelinde aufgeregt, aber ohne Zweifel am Gelingen entgegen.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...