Lord, Forgive Me For My Synths
Er möchte nicht jedes i-Pünktchen setzen. „Dem Zuhörer soll Raum bleiben, einen Klang selbst zu vervollständigen“, sagt Hans Zimmer über seine Musik. Kürzlich bot sich dem Publikum dazu die Möglichkeit: Hans Zimmer war auf Tour durch Europa. Am 20. April trat er mit 70 Musikern in Berlin auf und präsentierte ein zweieinhalbstündiges Best-Of seines Œuvres. Knapp 12.000 Zuschauer erlebten ein filmmusikalisches Konzert, dessen Klang sie tatsächlich selbst vervollständigen mußten, denn die grandiose Show litt teilweise stark unter der Sandsack-akustik der Mercedes-Benz-Arena und einer kolossalen Überverstärkung.
Während der Auftakt, das heiter verspielte Medley aus MISS DAISY UND IHR CHAUFFEUR, SHERLOCK HOLMES und MADAGASCAR die Klangschwierigkeiten des Abends noch im mezzoforte umschiffte, wurde bereits in den folgenden Gesängen und Turboeinlagen aus CRIMSON TIDE und ILLUMINATI das Zuschauerohr mit undifferenzierbarem Lärm malträtiert. Auch GLADIATOR, KÖNIG DER LÖWEN und FLUCH DER KARIBIK konnten ihre ausgetüftelten Zwischentöne in keinen ausgewogenen Live-Sound überführen. Dafür entpuppte sich Zimmer als humorvoller, sympathischer Moderator, dessen Kommentare nicht selten auf seine Kosten oder die seiner exzellenten Band (u.a. Johnny Marr und Richard Harvey) gingen.
Nach der Pause betrat Zimmer die Bühne im T-Shirt. Der selbstironische Aufdruck „Lord, Forgive Me For My Synths“ wirkte auch als programmatische Ankündigung für das von Elektronik geprägte Set. Mit TRUE ROMANCE und RAIN MAN entfesselte Zimmer zuerst seine rockigen Filmmusikanfänge. Im direkten Kontrast zum brachialen MAN OF STEEL und zur minimalistischen Elegie aus DER SCHMALE GRAT wurde besonders deutlich, welche Entwicklung der Komponist durchlaufen hat.
Die dröhnenden, aber dennoch gelungenen Highlights beendeten das Konzert: die Suiten aus THE DARK KNIGHT, INCEPTION und INTERSTELLAR. Als sich Zimmer am Schluß aus den Musikerreihen löste, um vor ihnen und vor dem Orgel-gesättigten Sound gestikulierend auf und ab zu laufen, wirkte er plötzlich wie ein kleiner Junge, der stolz seine Spielzeugsammlung präsentiert. Es hätte lächerlich wirken können, wäre da nicht diese aufrichtige Freude gewesen, dieses selbstlose Staunen über die Macht von Musik – ja, seiner Musik – und über das exzellente Zusammenspiel der multikulturellen Bandmitglieder, die nicht nur seine Interpreten sind, sondern Co-Komponisten, Weggefährten und Freunde.
[ Philipp J. Neumann ] Philipp fühlt sich inspiriert von CLUB DER TOTEN DICHTER, hat gelernt aus DAS SIEBENTE SIEGEL, ist gerührt von MAGNOLIA, hat sich wiedergefunden in THE SWEET HEREAFTER, wurde beinahe irr durch FARGO, ist für immer vernarrt in PONETTE und war schlicht plattgedrückt von DER HERR DER RINGE.